Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat zuletzt die demokratische Legitimation von Klimaschutzmaßnahmen herausgestellt, auch und gerade wegen der Notwendigkeit wirksamer Klimaschutzmaßnahmen (Sondergutachten zur Legitimation von Umweltpolitik).
Dem allseits kommunizierten „Übermaßverbot“, nach dem „der Staat nicht übermäßig, insbesondere [nicht] unverhältnismäßig, in die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger eingreifen darf“, steht auch das aus den grundsätzlichen Schutzpflichten des Staates erwachsende Untermaßverbot gegenüber [Beispiel Nichtraucherschutz, d. A].
Zitat aus dem Sondergutachten:
„In Folge des staatlichen Gewaltmonopols können sich einzelne Bürgerinnen und Bürger regelmäßig nicht gegen die negativen Umwelteinwirkungen wehren, die von der Tätigkeit von privaten Dritten ausgehen, solange diese sich im Rahmen des gesetzlich Erlaubten befinden. Umso mehr ist der Staat in der Verantwortung, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass ein effektiver Schutz der Bürgerinnen und Bürgern gewährleistet wird (CALLIESS 2006, § 44 Rn. 20). (…)
In der Folge wird dem Staat und seinen demokratisch legitimierten Organen – insbesondere dem primär zuständigen Gesetzgeber – ein Ermessen belassen, wie sie materiell die Schutzpflicht erfüllen, wobei ein verfassungsrechtlicher Mindeststandard an Grundrechtsschutz gewährleistet sein muss. Dieser Mindeststandard ist durch das Unter- maßverbot bestimmt (CALLIESS 2006, § 44 Rn. 26). “
Eine demokratische Regierung legitimiert sich also auch durch die Verwirklichung des Vorsorge- und Verantwortlichkeitsprinzips, auch und gerade im Hinblick auf nachfolgende Generationen. Auf der anderen Seite steht ihre Angst, von Autofahrern und/oder Klimaleugnern, die einseitig das Übermaßverbot im Auge haben, nicht mehr wiedergewählt zu werden. Dass man sich heutzutage für eins von beiden auf Kosten des jeweils anderen entscheiden muss, ist eine Folge jahrzehntelanger Untätigkeit. Sich einseitig auf die Seite des Übermaßverbots zu schlagen und das Untermaßverbot zu ignorieren, ist fatal.
Die Bundesregierung hat ihre eigene demokratische Legitimation untergraben, wenn sie den Verzicht auf wirksamen Klimaschutz mit der Gefährdung eines rein angstbesetzten Demokratiebegriffs unter dem impliziten Hinweis auf ein Übermaßverbot begründet. Demokratie wird durch die Regierung missbraucht, wenn sie den Handlungsspielraum zukünftiger Generationen durch Unterlassung des unbedingt Notwendigen gegen das Untermaßverbot auf unverantwortliche Weise einengt. Näheres in dem Artikel auf Zeit-online.
„Von der Angst diktiert“, Zeit online, 12.10.2019
Calliess, C. (2006): Schutzpflichten. In: Merten, D., Papier, H.-J. (Hrsg.): Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa. Bd. 2: Grundrechte in Deutschland. Allgemeine Lehren 1. Heidelberg, München, Landsberg, Frechen, Hamburg: C.F. Müller, S. 963–992.